Text Es war ein Schütz

Es war ein Schütz

Wildromatisch-Tragisches mit Ursprung in Holzkirchen

nacherzählt von Sabine Schreiber

Ich kann mich gut daran erinnern, dass mein Vater früher oft bei der Hausarbeit gern und viel und laut gesungen hat. Seine Moritaten haben mich besonders interessiert, schließlich ging es da um Mord, Tragik und die großen Gefühle. Und wahrscheinlich hab ich genau so auch das erste Mal vom Jennerwein gehört. Mit seiner sonoren Stimme sang mein Vater aus voller Brust beim Wäscheaufhängen oder war’s beim Geschirrabspülen: 

Es war ein Schütz in seinen besten Jahren,
der wurd hinweggeputzt von dieser Erd;
man fand ihn erst am neunten Tage
Am hohen Peißenberg am Tegernsee.

Auf hartem Fels hat er sein Blut vergossen,
und auf dem Bauche liegend fand man ihn;
von hinten war er angeschossen,
zerschmettert war sein Unterkinn.

Du feiger Jäger, das ist eine Schande
und bringet dir gewiß kein Ehrenkreuz;
er fiel gar nicht im off’nen Kampfe,
der Schuß von hinten her beweist’s.

Denn auf den Bergen, ja da wohnt die Freiheit,
ja auf den Bergen ist es gar so schön,
allwo auf grauenhafte Weise
der Jennerwein zugrund mußt gehn.

Ich saß irgendwo, ließ die Kinderhaxen baumeln und hörte gespannt zu. Hinweggeputzt, Blut vergossen, zerschmettert war sein Unterkinn… Ich staunte und schauderte. Das Lied, das vermutlich den Wildschütz Jennerwein erst so richtig berühmt gemacht hat, funktionierte also auch bei mir. Die Legenden, die sich um den Jennerwein ranken, weil nix genaues weiß man bis heut ja nicht – oder halt nur wenig, geben ja auch seit jeher genug Stoff für wildromantisch-tragische Stoffe. Wie viel das am End’ mit dem „echten“ Georg Jennerwein zu tun hat, dass weiß heut niemand mehr so recht. Aber was es bis heute tatsächlich zu geben scheint, sind wohl Zerwürfnisse und Feindschaften zwischen ganzen Familien, die wohl auf die Geschehnisse aus dieser Zeit zurück gehen. Darum möcht’ ich gern vorausschicken: Falls sich irgendwer durch eine von mir leichtfertig gewählte Formulierung beleidigt fühlen sollte, tut es mir aufrichtig leid – Partei für irgendwen möcht’ ich gar nicht ergreifen und auch niemanden beschuldigen. Aber von den Geschichten, über den Jennerwein, die seit meinen Kindertagen in meinem Hirnkastel herumspuken, die würd ich gern ein bisserl erzählen.

So – was hat jetzt der Wildschütz mit Holzkirchen zu tun, „des war doch der Girgl von Schliersee“ und erschossen wurde er an einem Bergkamm nördlich der Bodenschneid. Man weiß wenig Gesichertes über den Girgl – aber eine der wenigen, historische belegten Tatsachen ist die, dass er als ein lediges Kind in Holzkirchen Haid geboren und in der Kirche St. Johann Baptist in Föching getauft worden ist. Dort steht im Kirchenbuch verzeichnet, dass ihn am 21. April 1852 um halb eins in der Nacht die „Kleingütlerstochter“ Anna Jennerwein auf die Welt gebracht hat. Ab hier beginnt aber nun die mündlich tradierte und daher sehr legendenhafte Geschichte über den Wildschütz Jennerwein.

Ein Holzknecht soll er gewesen sein, der sich in der Schlierseer Umgebung betätigt hat. Nicht unbedingt nur mit Arbeiten, weil als fescher Kerl hatte er wohl einen guten Stand bei den Frauen, war oft auf dem Tanzboden zu finden, hatte selten einen trockenen Hals, spielte Zither wie der Teufel, sang und war keiner, der allzu schnell klein beigab, wenn man sich mal nicht einig war. Der Girgl genoss und feierte das Leben und scheintsi wusste jeder, dass er sich ab und zu in den königlichen Wäldern rund um den Schliersee einen Braten schoss. Was natürlich zur damaligen Zeit höchst kriminell war und unter Strafe stand. Denn das Wild gehörte per Gesetz den hohen Herren. So ein Umstand war dem Girgl und seinesgleichen aber herzlich Wurscht, wie man sich denken kann. Stattdessen tratzte man auch gern die bei Hofe angestellten Jäger und Förster, wenn man ihnen mal wieder quasi unter den Augen etwas wegstibizt hatte, ohne erwischt zu werden. Dieser Konflikt hatte sich freilich schon über Generationen aufgeschaukelt und es gab eine grundsätzlich verbitterte Feinschaft zwischen Jägern und Wilddieben, die nicht zu letzt auch darin begründet lag, dass immer mal wieder auf jeder Seite einer zu Tode kam. Erschlagen beim Raufen oder erschossen im Wald. Wilde Zeiten. Auge um Auge. Der Girgl selbst hatte wohl als Bub erleben müssen, wie sein Vater von königlich-bayerischen Jägern gestellt und erschossen worden ist. Er war damals 12 Jahre alt. Die Wut und die Hilflosigkeit, die da in einem Kinderherz gesät wird, muss man sich mal vorstellen, wenn einem der Vater vor der Nase erschossen wird – egal ob gesetzmäßig oder nicht. Manch einer wär daran zerbrochen, der Girgl aber wurde zu einem Draufgänger, einem Hallodri, der sich von niemandem etwas gefallen ließ und vielleicht auch gern einmal die in seinem Herzen brodelnde Wut hinauskochen ließ.

Die Tragik wird noch wachsen, weil ausgerechnet mit einem Spezl kommt er sich überquer. Da ist nämlich die schöne Sennerin Agathe, die auch in der Wirtschaft „Beim Hennerer“ bedient hat. Auf das Agerl hat Girgls Kamerad, der nicht annähernd so ein fescher Kerl gewesen sein soll, ein Aug’ geworfen und sich lang und mühsam um sie beworben. Und eines Tages hat sie ihm sogar ein Rendezvous versprochen. Zusammen wollten sie auf die anstehende Leonhardi-Fahrt gehen! Der Verliebte schmiedete den Plan dem Agerl einen Antrag zu machen… Aber wie es der Teufel will, strawanzt der Girgl daher und durchkreuzt die sehnsuchtsvollen Pläne. Agathe verliebt sich in den feurigen Jennerwein und gemeinsam bekommen die zwei in wilder Ehe lebend, sogar ein Kind. Girgls Kamerad aus früheren Tagen ist schwer getroffen – und weil er auch als Jagdhelfer anheuert, muss er sich auch noch Gehässigkeiten vom Girgl gefallen lassen. Eines Abends in feucht fröhlicher Runde zum Beispiel, schnappt sich der Jennerwein einen Gamsbart und waschelt seinem Kontrahenten damit frech durchs Gesicht. Dazu bemerkt er spöttisch und für alle zu hören: „Schaug, so ein Kraut wachst in dein Garten, aber brocken (also pflücken / ernten) tua’s i!“

Schließlich war der Jennerwein irgendwann einmal abgängig. Seine Spezln durchstreiften die Wälder und Berge, schon das Schlimmste ahnend. Und sie machten eine grausige Entdeckung. Am Rinnerspitz oder Peißenberg fanden sie ihn nach Tagen auf einer felsigen Lichtung liegen. Die Schuh und Socken standen neben dem Toten, ein Zeh war in den Abzug seines doppelläufigen Gewehrs geklemmt. Die Hände umklammerten den Lauf und ein beachtlicher Teil von Gesicht und Kopf war nicht mehr dort wo er eigentlich sein sollte. Sollt sich der feurige Schütze selber gerichtet haben? Aber woher kam dann der Einschuss am Rücken, den einer seiner Kameraden entdeckte… 

Vor Gericht kam dann besagter, gefoppter Spezl. Der soll es wohl auch zugegeben haben. Aber so richtig wegen Mordes wurde er dann auch nicht verurteilt. Milde 8 Monate Zuchthaus wurden ihm aufgebrummt, aber ob er’s auch wirklich gewesen ist? Nachdem er aus dem Gefängnis wieder herauskam, verfiel er dem Alkohol, wurde von den Leuten gemieden und starb angeblich geisteskrank während einer schlimmen Gewitternacht im Tegernseer Krankenhaus… Aber beweisen tut das freilich auch nicht mehr, als dass da zwei Menschen furchtbar Tragisches erlebt haben und erneut ein Kind, das Roserl, Tochter von Agathe und Georg, ohne einen Vater aufwachsen musste.

Zum Teifi mit dem ganzen Schießgraffel, kann ich da nur sagen. Und ein Grund mehr, warum ich so allergisch darauf reagiere, wenn schon die Kinder – und sei es nur im Spiel – Waffen gegeneinander richten…