Text Nagelfluh

Nagelfluh!

Nach einem wahren geologischen Umstand

erzählt von Sabine Schreiber

What the f*** is Nagelfluh? Keine Sorge, wenn Du den Begriff nicht kennst, ist das keine Schande. Ich hatte auch keinen blassen Schimmer, was denn bitteschön ein·e „Nagelfluh“ sein soll. Aber interessant: Die Nagelfluh ist in Holzkirchen allgegenwärtig. Und zwar schon ziemlich lang.

Also „die Fluh“ ist das schweizerdeutsche Wort für „Fels“ oder „Felswand“, „Felsabbruch“. Und was ein Nagel ist, wissen wir alle.

Jetzt ist es so, dass wir hier in einer Landschaft leben, die von mehreren Eis- und Kaltzeiten gestaltet wurde. Gletscherzungen reichten weit von den Bergen in die Ebene, teils über Holzkirchen hinaus. Mit Ende der recht jungen Würm-Kaltzeit, die ist nur gut 10.000 Jahre her, sind final die langen Gletscherzungen weggeschmolzen… Auch wenn das etwas Exotisches ist heutzutage: Stell Dir mal einen Gletscher vor. Da wälzt sich also eine dicke Schicht Eis ganz langsam, sehr langsam, äußerst langsam vom Berg ins Tal. Wie Lava, nur kalt und viel langsamer, schwerer und dicker. Was passiert da mit dem Gestein, das drunter liegt? Logisch, das wird mitgezerrt vom Eis. Knirschend und reibend und in einem unvorstellbar kraftvollen und langsamen Prozess haben die Gletscherzungen Unmengen von Gestein in die Ebenen gewälzt. So auch hier. Und als es dann wieder wärmer geworden ist und die Gletscher ihre Zungen wieder eingezogen haben, ist der ganze Gesteinsabraum freilich liegen geblieben. Wobei – nicht ganz, weil das Schmelzwasser hat sich das Gestein auch nochmal vorgenommen. Die Gesteine sind also erst vom Eis und dann oft auch noch vom Wasser und dann wieder vom Eis, erneut vom Schmelzfluss undsoweiter rundgeschliffen worden. Schau dir nur eine Flussbank an bei uns und Du weißt, was ich meine. Durch das ganze Gewühl, Geschiebe, Gedrücke ist eine Schotterebene entstanden, die bis München reicht. Der Schotter ist teilweise durch das immense Gewicht und ein paar chemischen Umständen verdichtet und verbacken worden. Ein Kitt aus Bestandteilen des Kalkgesteins und Wasser pickte und pappte die Kiesel zu einem Gestein zusammen, das ein bisschen ausschaut wie unregelmäßiger Waschbeton. Wird so eine Gesteinsschicht freigelegt durch einen Felsabbruch oder Witterung, löst sich mit der Zeit dieser Kitt und die Kiesel treten hervor wie Nagelköpfe. Und schwups: Schon wissen wir, woher der Name „Nagelfluh“ kommt: Von dem Gestein aus, lapidar gesagt „Kalkkitt“ und nagelkopfähnlichen Steinen.

Und was hat das nun mit Holzkirchen zu tun? Ganz einfach: Unser aller Fundament hier ist nichts anderes als Nagelfluh. Räumt man das Obermaterial beiseite, trifft man auf Schotter und / oder unsere Nagelfluh. Unter unseren Füßen findet sich also eine dicke Schicht aus zusammengebackenem Schotter aus den Bergen. Fest ist diese Schicht, hart und dick. Was heute in Scheiben geschnitten ein beliebter Zierstein ist, war lange, lange Zeit eher ein Beschwernis für die Menschen. Denn durch diesen dicken Panzer kam kein Quell an die Oberfläche. Das Grund- und Trinkwasser sickert in der Gegend am Taubenberg hinunter durch die diversen Gesteinsschichten und lagert gut geschützt von der Nagelfluh in lockereren Schichten. Hier auf dem Holzkirchner Gebiet ist‘s eher trocken. Das nächste natürliche Wasservorkommen ist der Hackensee. Oder eben der Taubenberg. Und umso verwunderlicher ist es eigentlich, dass sich hier vor gut über 1000 Jahren Menschen scheinbar niedergelassen haben. Wann genau, das kann man nicht so recht sagen – die ersten Siedlungen in der Gegend waren immer in der Nähe von Wasserläufen – also Valley, Darching etc. pp. Damals war hier alles voller Wald – keine reinen Nadel-Daxbesen-Wälder – sondern schöner, nahrhafter Mischwald. Eichen und Buchen schufen eine nahrhafte Grundlage für die Schweinehaltung zum Beispiel. Und es gab wohl den ein oder anderen Einöd-Hof, der sich auf einer Rodung befand – ähnlich wie die Pelletsmühl, die es heut noch gibt. Und vielleicht gab es auch jemanden, der den Riecher hatte, dass an dieser Stelle, auf dem trockenen Nagelfluh-Felsen, es günstig wär, sich niederzulassen. Schließlich kreuzten sich hier what shines ein paar Handelswege… Und auch wenn in sämtlichen Büchern steht, dass die Kirche hier zu erst war – … ich behaupte mal ganz frech: Ich glaub, hier war als erstes eine Kreuzung und dann: ein Wirtshaus. Weil: Die Leut, die hier durchgekommen sind, haben vor allem eines gehabt: Durscht. Schließlich gabs weit und breit schon seit Längerem nix Feuchtes für die Kehle. Schlau also, hier etwas aufzubauen und dafür zu sorgen, dass es – wenn schon kein ganz frisches Quellwasser – vielleicht wenigstens ein Bier gegeben hat. Und dann wurde das Kloster Tegernsee gegründet, und weil die Kirche schon immer einen Riecher hatte für ein gutes Geschäft und lukrative Orte, hat man freilich auch hier im Holz eine Kirche gebaut. Voilà: Holzkirchen. Aber bitte, liebe Leut, wahrscheinlich raufen sich jetzt sämtliche Historiker die Haare, weil das ist nur meine persönlich Version von der Besiedlung des trockenen Nagelfluh-Fleckchens hier.

Kreuzung von Handelswegen – Wirtshaus – Kirche – Ortschaft. Und alles haben wir ja heut auch noch hier im Ort. Unser Ortskern ist eine Kreuzung, daneben gleich die Wirtshäuser und die Brauereien und freilich: die Kirche. Nur der Wald, der ist gewichen. 

Der erste eigene Holzkirchner Brunnen ist erst im 15. Jahrhundert gegraben worden. Diese erste direkte Wasserversorgung in Holzkirchen verdanken wir einem gewissen Abt Ayndorffer, der 1450 den besagten Brunnen finanzierte. Drei lange Jahre und 80 Meter tief haben sich die Arbeiter durch die Nagelfluh geplagt, bis sie ans Grundwasser kamen. 350 Pfund Pfennige bzw. 342 Gulden und 42 Kreuzer hat die Sache gekostet – wer weiß wie viel das heut in Euro wär, nicht auszudenken, wahrscheinlich.

Heut liegt der 500 Jahre alte Brunnenschacht versteckt unter einem einfachen Gullideckel – aber die Bronzetafel drüben erinnert an den segensreichen Brunnen und den großzügigen Abt.

Apropos Bronze – dass sich durch den Holzkirchner Urwald sogar schon knappe 2000 Jahre vor Christus wohl Menschen geschlagen haben, dafür gibt es einen möglichen Beweis. Den haben die Arbeiter, die mit Pickel und Schaufel vor über 200 Jahren die Bahnstrecke München-Holzkirchen angelegt haben, ausgebuddelt. An einem Hang vom Teufelsgraben stießen die Männer auf einen Schatz, den wohl ein Mensch in der Bronzezeit dort vergraben hat. 16 sogenannte Bronzeringbarren lagen da friedlich in der Erde beieinander. Bronzeringbarren sehen aus wie Armreifen, die an einer Stelle offen sind und deren Enden sich einkringeln wie kleine Schnecken. Sie wurden als eines der ersten europäischen Zahlungsmittel verwendet bevor es überhaupt Münzen gab. Wer diesen kleinen Schatz vor 3000 Jahren dort am Teufelsgraben wohl versteckt hat – und warum? War es jemand auf der Durchreise? Oder haben hier doch schon Menschen gelebt? Und wenn ja, wie? So ohne Wasser… Was könnte sich noch alles im Boden unter unseren Füßen verstecken – außer Nagelfluh?