SABINE SCHREIBER

Löwe sein war immer schwer

Löwe bleiben, jetzt noch mehr.

Damals in den Neunzigern, in der zweiten Klasse, da gab es die Roten und die Blauen. Also vor allem bei den Jungs. Kurze proppere Bayern- und Sechzger-Fans, die Fanbildchen horteten und sich mit kleinen, harten Fäusten in der Pause schon mal ordentlich eins über die Rübe gaben. Die Mädels umsorgten derweil ihre Tamagotchis und überlegten sich, wer von den Jungs für sie überhaupt in Frage käme. Mochte man den Schönling im Bayerntrikot, der von Papa morgens shampooniert mit dem Mercedes ausgeliefert wurde? Oder fand man eher den etwas verwilderten, nach elterlichem Tabakkonsum riechenden Löwen spannender, der zwar nie die neusten Sportschuhe hatte, aber auch barfuß noch am schellsten laufen konnte.

Natürlich gefielen uns die gegeelten Jungs in den frischgewaschenen Markenklamotten. Aber insgeheim schlugen die Mädchenherzen für die toughen Blauen – vorlaute Aufwiegler, die einstecken konnten, immer wieder aufstanden, zwar nie die erfolgreichsten, aber stets die lautesten waren.

Es war mehr als nur Fußball. Es war eine Statusfrage. Ich hatte damals wie heute weder Interesse für -, noch Ahnung von Fußball – aber ich wusste genau, wenn, ja wenn, dann schlägt mein Herz für die Sechzger – ich war ein Sechzgerfan-Fan. Von den Funktionären und ihren Fisimatenten hatte ich mit sieben Jahren keine Ahnung – ich las lieber Bildgeschichten von Erwin Moser als Pressemeldungen über Wildmoser.

Die allgegenwärtigen Bayernfans lassen mich auch heute immer noch kalt (Fan vom ewigen Gewinner – viel zu simpel) und die Sechzger-Fans…tja, gibt’s die noch? Wohl kaum, es gibt ja kaum mehr etwas von der Fußballsparte des TSV 1860, von dem man Fan sein könnte. Dafür haben dicke, reiche, egozentrische Geschäftemacher mit Allmachtsphantasien im Laufe der Zeit gesorgt. Erst der grimmig-bayerische Patriarch und jetzt der kugelrunde, chronisch beleidigte Jungmilliadär aus Nahost. Zwar versuchte man immer den Lebensraum des Sechzger-Fans durch irre Stadionbauträume künstlich zu erhalten (zuletzt: mit angeschlossenem Löwenzoo in Riem), aber zur Arterhaltung braucht es eben mehr als blaue Sitzschalen und Großkatzen. Der Sechzger-Fan braucht Spielgeschehen, eine Mannschaft, zu der er halten kann, da muss die ja nicht einmal gewinnen. Aber wenn die Mannschaft nicht einmal mehr verliert, weil sie gar nicht mehr spielt. Weil vom eingeschnappten Geldgeber eine Lizenz nicht bezahlt wird. Oder weil es vor lauter Rausgeschmeisse gar keine rechte Mannschaft mehr gibt. Dann muss ich wohl mein Sechzgerfan-Fan-Dasein bei meinem toten Tamagotchi in der Schublade für Erinnerungen an die Neunziger beerdigen.

pressewoche (381)

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