Der Löwe im Garten
nach einer wahren Holzkirchner Begebenheit
erzählt von Sabine Schreiber
Ich selber bin ja keine gebürtige Holzkirchnerin – aber meine Mutter schon. Sie ist aufgewachsen in einem kleinen Reihenhäuschen Baujahr 59, damals ganz am Rand von Holzkirchen. Heut wohne ich selber dort, nachdem meine Großmutter vor ein paar Jahren gestorben ist, und inzwischen ist der Ortsrand viel weiter nach Osten gewandert. Schon als Kind war ich oft hier im Haus meiner Großmutter, dem kleinen Haus mit dem schon immer knorrigen Frühapfelbaum im Garten, den Him- und Johannisbeeren, in der Straße mit den vielen anderen ähnlichen kleinen Häuschen mit Garten und Gesträuch und freundlichen, für mich damals schon uralten Leuten. Und wenn ich mal bei meiner Großmutter über Nacht blieb und nicht einschlafen konnte, erzählte sie mir gern eine wahre Geschichte, mit welcher im Kopf ich den Weg leichter hinüber in den Schlaf finden würde. So zum Beispiel auch die Geschichte vom Löwen Simba, der nur wenige Gärten weiter, am Ende der Straße einmal sein Zuhause gehabt haben soll. „Ein echter Löwe, Oma?“, fragte ich.
„Ja, freilich. Ein echter Löwe. Ein riesiges Trum von einem Tier. Zum Mond hat der im Sommer hinauf gebrüllt, da ist einem manchmal ganz anders geworden.“
„Und hast du dann Angst gehabt, Oma?“
„Nein, der war ja in einem Käfig. Aber zuletzt hat sich nur noch sein Herrchen zu ihm hineingetraut, weil der Löwe so groß und stark war, als er ausgewachsen gewesen ist.“
„Aber warum hat der Mann sich denn einen Löwen gekauft?“
„Mei, vor 15 Jahren hat es hier in Holzkirchen eine Tierhandlung gegeben und die haben als Attraktion…“
„Als was?“
„Naja, als etwas, wofür die Leute stehen bleiben und ins Schaufenster schauen. Als Werbung quasi. Und dafür haben sie ein Löwenbaby in die Auslage gestellt. Dort hat der Nachbar ihn hin und her tappen gesehen. Das kleine Viecherl hat ihm so derbarmt, dass er’s dem Geschäft abgekauft hat. Für einen Haufen Geld damals. Tausend Mark, mein ich, hat er zahlt dafür. Und das ist ja schon auch was Nettes, so ein kleiner Löwe. Solang er halt klein ist. Der Nachbar hat auch zwei Kinder. Die waren damals ungefähr so alt wie du jetzt. Und die haben mit dem kleinen Löwen gespielt, wie mit einer Katz. Und spazieren gegangen an der Leine sind sie am Anfang auch mit ihm. Mit dem Simba, glaub ich, hat er geheißen. Sogar in die Schule haben sie ihn einmal mitgenommen…“
„In die Schule?! Wirklich?“
„Ich mein schon – aber genau weiß ich das nicht mehr. Schau, das ist ja jetzt auch schon wieder ganz schön lang her. Der Löwe ist gestorben, da warst du grad einmal zwei.“
„Jetzt bin i ja schon sieben!“
„Genau, großes Mädel. Und hier in der Straß’ gewohnt hat der Simba sicherlich 10 Jahr, wenn mich nicht alles täuscht. Aber jetzt wird geschlafen, damit du noch ein bisserl größer werden kannst morgen.“
„Aber…, Oma?“
„Ja?“
„Hast du den mal gestreichelt, den Simba?“
„Nein, das hab ich nicht.“
„Aber gesehen schon?“
„Ja freilich. Und gehört. Und gerochen.“
„Gerochen?“
„Ja, weißt, so ein Raubtier, das frisst ja einen Haufen Fleisch und grad die Manderl, die riechen halt … stark. So wie ein Goaßbock auch… und wenn der Wind aus der falschen Richtung geweht hat, meine Herren, da bin ich mir manchmal vorgekommen wie im Tierpark Hellabrunn gleich neben dem Löwenhaus.“
„Ui, Oma, gehen wir zwei mal wieder in den Tierpark?“
„Ja freilich, das machen wir. Und dann schauen wir uns mal die Löwen ganz genau an… und dann nimmst dir eine Nase voll mit, damit du weißt, wie es früher hier manchmal gerochen hat – bei mir im Garten.“
Mit dieser aufregenden Aussicht und den Bildern von einem stattlichen Löwen im Garten, einem Löwenbaby im Wohnzimmer und einer kleinen Raubkatze im Klassenzimmer im Kopf bin ich damals eingeschlummert.
„Gut Nacht, Oma.“
„Gut Nacht, Sabine.“
Kannst Du Dir das vorstellen? Ein Löwe in einem Holzkirchner Garterl? Gut, es waren die 70er und 80er Jahre damals, die Gärten größer, Holzkirchen kleiner, die Gesetze laxer… Aber trotzdem! Ein afrikanisches Wildtier bei uns? Schon eine schräge Vorstellung, oder? Und was für ein Bild! Jemand mit einem Löwen an der Leine am Kogl? Oder eine Giraffe, die über die Thujenhecke spitzt? Klar – alles verboten und auch zu recht – aber der Phantasie sind ja keine Grenzen gesetzt! Was siehst Du vor Deinem inneren Auge? Ein Walross im Gartenteich? Einen Eisbären beim Franzetti?